Als wir unsere Nacht-Spaziergänge durch die leeren schwarz nass glänzenden Dorfstraßen machten, begleitetete uns oft der durchdringende Gesang eines Nachtvogels. Wir waren stolz, dass dieser Nachtvogel nur bei uns auf den höchsten Ästen unserer hohen Bäume saß und sonst nirgends. Nur dort pflegte er so unaufhörlich süß zu singen. Es ist bestimmt eine Nachtigall oder so gut wie, sagten wir uns. Der Vogel hat so viele Töne, Pfeiffen, Kadenzen und Triller, seine Variationskraft scheint nie zu erlahmen, vor allem scheint er nie die Lust am Singen zu verlieren. Das sagten wir uns damals, als die Stille uns noch vertraut war - als das eigentümliche Vogellied uns nur nachts überraschte und wir selbst die Nacht stets durchwachten.
Aber jetzt als wir uns rechtzeitiger schlafen legen wollen um dann auch rechtzeitiger aufwachen zu können, hören wir nach wie vor den 'Nachtvogel'. Sein siegesfröhliches Pfeiffen reicht auch in unseren tiefsten unruhigen Schlaf hinein. Vor seinem Gesang gibt es kein sicheres Versteck. Jetzt nennen wir ihn nur noch den Tag-und-Nacht Vogel. Er hört nie auf zu singen und die Stille ist von unserem Garten für immer verbannt worden. Er hat den Platz vollkommen in Besitz genommen und somit auch uns. In den knappen unvermeidlichen Pausen wenn sogar diese singende Heimsuchung ihren Teufelstriller kurz ausruhen lassen muss, pfeift einer von uns vor sich hin in stümperhafter Nachahmung. Somit wird auch noch der letzte Fetzen Stille zerrissen. Seit dann kennen wir, gleich unserem Herrn, endgültig weder Tag noch Nacht.
Viel später, als es schon zu spät war, glaubte ich die tiefe Bedeutung des ersten Satzes von Prousts "à la recherche du temps perdu" endlich begriffen zu haben:
"Longtemps, je me suis couché de bonne heure."
("Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen.")
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