Dienstag, 17. August 2010

Das Bestellbuch


An dem Bestellbuch allein, kann man erkennen, dass der kleinstädtische Musikalienladen nur widerwillig den Kunden ihre Noten beschafft.  Zerfleddert ist kein Wort mehr.  Auch ausgestrichen und verstrichen nicht.  Das Buch ist schon zum Fünffachen seiner normalen Größe angeschwollen.  Die Seiten des Buches ertrugen schon jegliche Variation des ärgerlichen Knickens und falsch herum Zurückschlagens.  Die Anweisung ‚E-Dur’, die ich meiner Bestellung der Toselli-Serenata hinzugefügt habe, hebt sich kaum von den dicht gewebten Linien-Wirbeln ab.  Das letzte Mal behauptete der picklige hochgewachsene Ladenhüter mit Pferdeschwanz, dass mit der Post schicken teuer und nicht üblich sei.  Wenn überhaupt, dann nur per Nachnahme, dann kämen die Portokosten und Verpackungsmaterial dazu.  Jene abschreckenden Behauptungen wurden von einer Frau, die mehr wie eine Chefin aussah, absolut widerlegt, als ich an einem anderen Tag meine Frage wiederholte.  Das ‚umsichtige Besorgen’ ist in sich eine Gewissensprüfung.  Wo liegt diese verzauberte Zeugwelt in seiner ‚Zuhandenheit’ – wo alles Dir einfach zufliege und auf dem Leib geschnitten sei – wovon Heidegger in „Sein und Zeit“ das Märchen erzählt?  
 
An der Theke - zu allem Überdruss - lauert das drohende klagende Schild, das von großen Verlusten berichtet, die durch Kunden, die ihre Bestellungen nicht abholen, verursacht werden.  Deshalb gäbe es ab jetzt immer eine Bestellungsnummer.  Ich bin mir gar nicht sicher, ob man noch telefonisch bestellen darf.  Meine Bestellung habe ich noch in der Zeit vor der Einführung des Nummernsystems gemacht.  Dennoch fragen sie mich jedes Mal ob ich eine Nummer habe und schauen mich dabei prüfend an, - wie jemand der potenziell nicht abholen wird.  





 



Donnerstag, 12. August 2010

Baumschule

 
Die hingefallenen Pflanzen im Gewächshaus wachsen auf der Erde unterhalb der Ausstellungstische.  Das neue Haus.  Das alte Haus und die Scheune dahinter.  Ungefähr die Farbe vom nassen Sand.  Sieht wie ein Lager aus.  Unüberschaubare Reihen von Pflanzen.  Es wirkt gleich bedrohlich.  Der erste Trakt am Eingang enthält halb leere Reihen, umgekippte schwarze Töpfe, wirres pflanzliches Zeug.  Die Stellen sind unnahbar.  Eine verlassene Siedlung, halb kultiviert, schon verwildert.  Die bewohnten Reihen der Schule sind ein wenig freundlicher.  Man ahnt die Größe der Fläche, aber man kann sie nicht mit dem Auge erfassen.  Eine schräg abfallende Allee von Tannen in der Entfernung erweckt die Vorstellung von einer schlechten Unendlichkeit.

Wir wagten uns nicht sehr weit nach vorne.  Alles war im Überfluss, von der Sorte, die den einzelnen Menschen sehr schnell überwältigt.  Zinnkraut wächst irgendwo unpassend.  Aus Pflanzenresten entstehen neue Pflanzen – Seelenwanderung und Mutation zugleich.  Wir kaufen ein japanisches Geißblatt, das für uns noch blühen soll.  Verschlafene junge Männer und Frauen sollten bedienen.  Sie sind vom pflanzlichen Reichtum ähnlich überfordert wie wir.  Dennoch weiß einer von ihnen, nach einer Verzögerung, dass hinter irgendwelchen Stauden ein noch größerer Lavendelstrauch sich befinde.  Vieles ist gelb und trocken, das noch auf einen Käufer harrt.  Offensichtlich sind Verluste fester Bestandteil der Kalkulation.  In Gewächshäusern, wo die Pflanzen nur für sich einatmen und ausatmen, stehen Bäume auf Rädern.  Ein Mensch soll lieber draußen bleiben.  Wir haben uns an Knöterich und sonstigen Kletterpflanzen vorbeigerieben, ohne dass sie grüne Schlingarme nach uns ausstreckten.  Aus der Backe der blonden Verkäuferin sprießt ein einzelnes weiß blondes Haar.