Montag, 22. Juli 2013

Das Fast-Wahre (Hölderlin I)


Gibt es falsche Geheimnisse ähnlich wie es falsche Gefühle gibt?  Mir scheint, daß diejenigen eines Hölderlins solche sind.  Ein böser Kritiker mokierte die heftigen Anstrengungen Hölderlins das Unaussprechliche sagen zu wollen.  Orakel-Allüren.  Vielleicht hatte der Kritiker richtig geahnt.  Nicht vergleichbar mit dem Innomablen oder Giacomettis Unsichtbarem.  Das Unsichtbare oder das Unbenennbare sind nicht immer nur der Tod.  Balibar beschwört in „Politics and the Other Scene“ „andere Formen des ‚Negativen’“, die schlimmer als der Tod gerechnet werden müßten – aber gemäß der Rhetorik der falschen Geheimnisse – sagt er dem Leser nicht was sie sein könnten.  Heisst dies, er möchte den Leser vor der Kenntnis solcher Schrecknisse schonen – oder möchte er ihn eher seinen Ängsten ausliefern – womöglich unbewußt oder ohne Kenntnis mit jenen negativen Formen in Berührung gekommen zu sein?  Für Giacometti vielleicht ergab sich ein Unterschied zwischen dem was wirklich, was natürlich and was wahr ist.  Sein Blick und der Blick seiner Modelle.  Was sieht Schulka Schuster?  Sehen wir mehr als wir wissen oder wissen wir mehr als wir sehen?   



 © Shannee Marks, July 2013





 




Freitag, 19. Juli 2013

Genügsamkeit


Goethe schrieb einen Nachruf auf seinen Freund Winckelmann und es hätte auch er selbst sein können, den er dort beschrieb.  Nur die Freundschaft der reichen, vornehmen und gebildeten Menschen hatte Winckelmann gesucht.  Man muß sich alle Eigenschaften in einer Person vereint vorstellen.  Nur solche suchte Winckelmann auf.  Dem Gönner gefällig zu sein, wechselte er sogar seine Religion.  Um in Rom leben zu können.  Ein Poet war er eigentlich nicht, aber er verehrte die alten Künstler, die Dichter und vor allem die Bildhauer.  Den antiken Meistern würdig zu sein und wie sie als Künstler zu gelten, bewegte ihn poetisch zu schreiben.  Er kannte seine Beschränkungen.  Er genoß den vertrauten Umgang der südländischen Herren.  Aber, sagt Goethe, Winckelmann verstand nicht den Sinn jener orientalischen Vertrautheit.  Vertrauter Umgang deutet auf die Unbekümmertheit im Verhältnis von Herr und Knecht - die Unbekümmertheit des Herrn dem Knecht gegenüber.   Ein Herr braucht sich vor seinem Knecht nicht zu genieren – vor dem Kammerdiener darf er ruhig seine Würde ablegen – „Es gibt keinen Helden für den Kammerdiener; (...)“(Hegel).  Winckelmann begehrte über alles Ehrungen.  Eine der größten Ehrungen, die er erfuhr, war jene, dem Papst einige Stellen aus seinem Werk über das Altertum vorlesen zu dürfen.  Schönheit und vor allem die Gesellschaft schöner Jünglinge schätzte er am meisten.      




  
© Shannee Marks, July 2013