Dienstag, 16. März 2010

Der Heilige Zenobius


Das Kind war schon oft beim Heiligen gewesen.  Es bekam Groschen um süßes Wasser kaufen zu können.  Das Wasser war grün oder rot und der Rand des Kruges stets von Fliegenrüssel sauber geleckt.  Eines Tages sah der Heilige wie das Kind beinah überfahren wurde.  Er sah nur die Beine des Kinds, seine Kammer lag drei Stufen unterhalb der Straße.  Er sah wie die Hufe eines Reitpferdes um ein Haar das Knie des Kindes geknackt hätten.  Das Kind war im Schlamm ausgerutscht, fasste sich aber gerade noch am Steigbügel.  Es bekam nur einen Tritt vom Reiter. 

Der Heilige war sterbenskrank.  Das Fieber kam öfters, blieb länger, er war zu schwach um seinen Bart zu kämmen.  Seine Finger zitterten und er kratzte sich deshalb öfters im Gesicht.  Er wollte aber nicht scheiden ohne ein letztes Wunder zu vollbringen.  Man kam schon lange nicht mehr zu ihm um seine Fürsprache im Gebet zu erbitten, seinen Segen zu erhalten.  Wenn das Volk nicht ständig mit Wundern gespeist wird, verliert es den Glauben im Ganzen.  Darüber hinaus verbreiteten Intriganten aus Arianischen Kreisen sogar Zweifel an seinen früheren Wundern.  Das nächste Mal, dass er die Stufen seiner Zelle hoch steigen würde, wird es nur auf der Bahre sein.  Er fasste einen Entschluss.  Das Kind sollte zum Schein sterben, unter das Rad eines Leiterwagens rollen.  Der Heilige würde sich aufraffen, seinen Bart kämmen, er würde zum richtigen Zeitpunkt auf der Straße sein.  Wenn sie das Kind vom Boden aufläsen, es unter dem Rücken fassten, sein Haar die Straße fegte, würden sie ihn den Heiligen anflehen, es wieder lebendig zu machen.  Der Scheintod ist sogar ein noch größeres Wunder als die Wiederbelebung, dachte der Heilige für sich.











Montag, 15. März 2010

Die Waisendecke


Sie war kinderlos und sonst allein.  Sie war die Näherin der Waisen.  Sie nähte ihnen allen ein Paar Waisenhosen mit vielen Taschen, auch Innentaschen, um den Erlös aus kleinen Waisengeschäften darin vor den anderen Waisen zu verbergen.  Sie nähte ihnen eine einzige große Waisendecke.  Die Waisen brachten ihr einen Riesenstapel von Decken, aller Sorten; sie gingen von Haus zu Haus und baten die Leute um ihre alten Decken, auch um solche, die schon im Dreck, unter Hunden die bereits eingeschläfert worden waren, unter Matratzen von Rheumaleidenden lagen.  Selbstverständlich wurden alle Decken der Hospize den Waisen für ihre Waisendecke gespendet.  Die Waisen des Heimes schliefen alle unter einer Decke, kam eine neue Waise dazu, schleppten sie die Decke zur Näherin und sie nähte seine Decke zur großen Decke dazu.  Die Waisen waren alle mutterlos und vaterlos, deshalb wollten sie gerne alle in einem Bett unter einer Decke schlafen.  Für jene Waisen die in der Mitte schliefen gab es manchmal Atemschwierigkeiten.  Sie hatten es öfters an der Brust und durften dann mit einer Randwaise zeitweilig tauschen.  Klügere Mittelwaisen schnitten sich einfach Atemlöcher in ihre Decke.  










Sonntag, 14. März 2010

Der nachlässige Hausierer


Mir ist das Verkaufen so leid geworden, dass ich nur hin und wieder daran denken kann, aber dann auch nur äußerst ungenau. Dennoch, je weniger man daran denkt, um so besser läuft es, so dass mein Leid direkt dazu beiträgt, das Geschäft, das mir so lästig ist, zu vermehren, was die Fähigkeit nicht daran zu denken aufs äußerste strapaziert.  Deshalb weiß ich nicht, ob ich schon hier bei Ihnen gewesen bin und auf welche Art Sie mich damals empfangen haben, das nächste Mal wird sowieso frühestens in 5 Jahren sein.  Heute morgen waren alle Preise noch voll, im Lauf des Tages sind sie so geworden, als wären die 5 Jahre schon um, Ihr Haus schon völlig verwandelt, diese Luftaufnahme, das letzte Andenken eines verlorenen Freundes.  Ich bringe Ihnen sein erloschenes Lebenszeichen, noch dazu in den mittäglichen Farben, schon ist die Vorstellung das einzig Übriggebliebene vom Ort des Glücks.  Es war nur ein Saisongeschäft.